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5. Der Übergang von der frühen zur klassischen Geschichte der Solitonentheorie

 

Die Solitonentheorie hat in den letzten drei Jahrzehnten nicht nur ihren Begriffsapparat entwickelt, sondern sich auch quantitativ (Anzahl der Arbeiten) und qualitativ (Übergreifen auf neue Gebiete) außerordentlich ausgedehnt. In der Physik und den angewandten Naturwissenschaften fanden sich immer mehr Phänomene, die mit Solitonengleichungen beschreibbar sind, bis hin in die Technik, in der Wellen mit Teilcheneigenschaften Anwendungen fanden. Eine Übersicht hierüber liefern die Artikel von [Bishop 1979] und [Newell 1985]. In der Mathematik konnten mit integrablen Systemen vom Evolutionstyp zunächst Gebiete, die bisher mehr oder weniger unabhängig waren, in Verbindung gebracht werden, wie eine Grafik in dem Übersichtsartikel [Bull., Cau. 1995] veranschaulicht. In diesem Kapitel soll aufgezeigt werden, welche Entwicklungen zu der raschen Ausbreitung der Solitonentheorie führten.

 

Das in den siebziger Jahren schnell anwachsende Interesse an der Solitonentheorie gründete sich einerseits auf die Entwicklungen der Theoretischen Physik, hauptsächlich aus den sechziger Jahren, die zu den Anwendungen von Solitonen und Solitonengleichungen als Modell für verschiedene physikalische Phänomene führten. Andererseits sind es die Entwicklungen in der Mathematik, die 1967 zur Entdeckung der Inversen Streutransformation (IST) geführt hatten, der wichtigsten Integrationsmethode von Solitonengleichungen. Insbesondere die Verbindung der Teilcheneigenschaften von Solitonenlösungen mit der Integrabilität ihrer Differentialgleichungen bewirkte ein schnell anwachsendes Interesse an diesen Gleichungen und ihren Lösungen. Es wurden Zusammenhänge erkannt, es etablierte sich ein eigenes Begriffssystem der Solitonentheorie; die Solitonentheorie konstituierte sich.

 

Die Anwendungen der Solitonengleichungen als physikalische Modelle und die Entdeckungen, die zu diesen Modellen führten sind in der Literatur schon beschrieben worden. Weniger im Bewußtsein ist allerdings die Tatsache, daß in den sechziger Jahren so viele Anwendungen von Solitonengleichungen fast gleichzeitig entdeckt wurden. Es bestand also erstmalig ein großer Bedarf nach Integrationsmethoden für diese nichtlinearen partiellen Differentialgleichungen, weil man sich aus weiteren Lösungen der neuentdeckten Modellgleichungen weitere Anwendungen versprach. Dieser Bedarf wurde mit der Ausarbeitung der IST befriedigt, mit der die verschiedenen Modellgleichungen (Solitonengleichungen) zu einer Klasse zusammengefaßt werden und somit auch eine Verbindung zwischen den physikalischen Modellen direkt hergestellt werden konnte. Daher wird allein die Entdeckung der IST als Beginn der Solitonentheorie gefeiert. Dieses Bild der Entstehung der Solitonentheorie durch die IST ist eingängig und allgemein verbreitet. Es ist jedoch zu einfach und wird der Entstehung der Solitonentheorie nicht gerecht. Hier wird ein komplexeres und weiter in die Wissenschaftsgeschichte zurückgehendes Bild gezeichnet. Es soll ferner in diesem Kapitel gezeigt werden, daß die IST, auch aufbauend auf den in den Kapiteln 2, 3 und 4 untersuchten Entwicklungslinien, allein die Solitonentheorie nicht zur Ausbreitung hätte bringen können, ebensowenig wie es die Bäcklundtransformation der SG-Gleichung nach 1953 geschafft hatte. Erst die in den sechziger Jahren entdeckten vielen Anwendungen ermöglichten das. Die Integrationsmethoden waren die von vielen Theoretischen Physikern, die sich auf die Suche nach weiteren Lösungen begeben hatten, ersehnte Hilfe.

 

In diesem Kapitel werden nur wenige gänzlich unbekannte Details besprochen; eine Ausnahme bilden die persönlichen Mitteilungen KAUPs, ZABUSKYs und HOBARTs zur Entstehung der Solitonentheorie. Neu ist jedoch das Bild, das sich aus der Gesamtheit der vielen z.T. auch sehr wenig bekannten Details der expliziten Entstehung der neuen Disziplin Solitonentheorie zusammensetzt. Daher werden die frühen solitonischen Modelle innerhalb der Physik sowie die Entwicklungen, die zur IST führten, hier kurz besprochen.

 

 

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